Organtransplantation bei Hirntod

Organtransplantation bei Hirntod

nachfolgend drei kritische Kommentare eines habilitierten Mediziners zum Aufsatz „Organentnahme bei Hirntod – ein milliardenschwerer Megamarkt?


1. kritischer Kommentar:

Vielleicht sollte man auch einmal die Situation der Kranken betrachten, die verzweifelt auf ein Spenderorgan warten. Deutschland ist bei Spenderorganen international Schlusslicht. Die überwiegende Zahl der Bürger ist bereit, Organe zu spenden, jedoch zu träge, selbst die Initiative zu ergreifen. Deshalb gilt in fast allen europäischen Ländern die Widerspruchslösung. Dabei wird niemand gezwungen, seine Organe zu spenden und kann bei Lebzeiten widersprechen. Interessant ist, dass die Widersprechenden in der Regel selbst ein Transplantat annehmen würden, falls sie erkrankt sind.


Ein weiteres Problem ist die Unterfinanzierung des Systems, was unsere Politiker jetzt zum Glück erkannt haben. Man kann das natürlich negativ auslegen und nur die Profitgier der Beteiligten in den Vordergrund stellen. Aber ohne eine adäquate finanzielle Ausstattung kann eine so komplexe medizinische Leistung nicht funktionieren.


Des Weiteren muss man die Kosten einer Transplantation z.B. den Kosten einer dauerhaften Dialysebehandlung gegenüberstellen, welche ein Mehrfaches kostet.
Die ständige Diskussion über den Hirntod bringt nicht weiter. So ist eben nach den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Tod des Menschen definiert. Es geht hier nicht um das Abschalten oder nicht-Abschalten. Abgeschaltet wird in dieser Situation auf jeden Fall. Es geht nur um die Frage, ob die Organe verwesen oder transplantiert werden. Im letzteren Fall kann der Tote mit seinen Organen mindestens 5 Menschen das Leben retten.

 


Einschub – Kommentator eines anderen Lesers:

Sinngemäß: Lasst den Sterbenden in Frieden sein Leben beenden. Ohne, dass andere schon auf darauf warten, dessen Organe entnehmen zu können. Aber: mit Toten (nicht Hirntoten) ist kein Geld zu verdienen.

 


2. kritischer Kommentar:

Die Sichtweise, dass jemand in der Tür steht und auf die Organe eines Sterbenden lauert, ist eine sehr vereinfachte Darstellung, die nicht der Realität entspricht. Als Organspender kommen nur Personen in Betracht, bei denen z.B. durch einen schweren Unfall das Gehirn zerstört wurde. Die Funktionen des Körpers des Betroffenen (Herz, Lungen, Leber, Nieren etc.) können heute durch Maschinen und Medikamente eine gewisse Zeit aufrecht erhalten werden.

Sobald der Hirntod nach strengen Kriterien festgestellt worden ist, werden die Maschinen abgeschaltet, das Herz bleibt nach einigen Minuten stehen und die Organe sterben ab. Ob das dann ein friedliches Sterben ist, mag jeder für sich entscheiden. Jedenfalls wird es nicht dadurch besser, dass man seine funktionstüchtigen Organe dem Zerfall preisgibt und noch ein paar andere Menschen mit ins Grab nimmt. Für viele Anghörige ist es im Nachhinein ein Trost, wenn der unerwartete Unfalltot ihres Kindes nicht völlig sinnlos war, und durch eine Transplantation mehreren Kindern ein neues Leben geschenkt werden konnte.

Außerdem ist es nicht gerechtfertigt, alle Beteiligten als profitgierig zu bezeichnen. Für das Pflegepersonal und die Ärztinnen/Ärzte, die sich für die Transplantation engagieren, ist das immer eine extrem belastende Angelegenheit, für die sie keine zusätzliche Vergütung erhalten.

 


Antwort vom Autor des Aufsatzes auf Kommentare 1 und 2:

Sehr geehrter Herr …,

besten Dank für Ihre beiden Kommentare zu diesem Aufsatz.
Lassen Sie mich bitte mit einigen Zeilen auf Ihre interessanten Überlegungen eingehen:

zu:

„die überwiegende Zahl der Bürger ist bereit, Organe zu spenden, jedoch zu träge, selbst die Initiative zu ergreifen“

In Göttingen, Jena und Leipzig hat es Organspendeskandale gegeben (2012 und Folgejahre). Presseberichten zufolge sollen selbst Kontrolleure von einem systematischen Fehlverhalten gesprochen haben.

Möglicherweise ist in der öffentlich diskutierten Manipulation medizinischer Daten eine Ursache zu suchen, warum ein großer Teil der Bevölkerung der Organspende mit Skepsis gegenübersteht.

Inwieweit die Menschen „zu träge sind, selbst die Initiative zu ergreifen“ vermag ich nicht mit Sicherheit einzuschätzen.


zu:

„Unterfinanzierung des (Gesundheits)Systems“

Den größten Kostenblock im Gesundheitswesen stellen mit ca. 70 % die Personalkosten dar. Das sogenannte Arbeitgeberbrutto beträgt ca. 120 % des mit dem Arbeitnehmer vereinbarten Bruttoentgelts. Nahezu die Hälfte des Betrages sind Sozialversicherungsbeiträge und Steuern.

Über die Höhe vorgenannter Abgaben beschließen unsere Politiker. Kenntnis von der Unterfinanzierung des Gesundheitssystems werden sie sicherlich haben. Die Personal(neben)kosten sind jedoch in den zurückliegenden Jahren stetig angestiegen.

zu:

„ohne eine adäquate finanzielle Ausstattung kann eine so komplexe medizinische Leistung nicht funktionieren“

Da stimme ich Ihnen zu. Jedoch wird nach meiner Einschätzung die Organtransplantation das unterfinanzierte Gesundheitssystem weiter belasten. Dem Gesetzentwurf ist nicht zu entnehmen, wie die Refinanzierung der den Kliniken entstehenden Aufwendungen erfolgen soll. Denkbar wäre eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge oder Leistungseinschränkungen an anderer Stelle.

Zweifelsfrei ist es jedoch so, dass bereits im heutigen unterfinanzierten Gesundheitswesen hinreichend Erträge erzielt werden, um diese u.a. an Aktionäre auszuschütten. Und hier beisst sich die Katze meines Erachtens in den Schwanz. Das Gewinnstreben privater Klinikkonzerne ist nicht gedeckelt. Es mögen noch erheblich höhere Summen zur Krankenhausfinanzierung aufgewendet werden. Das Verlangen nach Rendite wird diese, aller Voraussicht nach, zumindest teilweise aufzehren.

– – –

Der Aufsatz stellt ökonomische Betrachtungen in den Mittelpunkt. Wer würde bestreiten wollen, dass die medizinischen Möglichkeiten der Organtransplantation ein Segen für betroffene Patienten darstellen kann? Ihren Ausführungen zufolge vermag ein Toter durch Organentnahme bis zu fünf kranken Menschen das Leben zu retten.

Sehr geehrter Herr …,  wenn es ausschließlich um das Patientenwohl ginge, könnte ich Ihren Gedanken uneingeschränkt zustimmen.

Haben Sie aber noch einmal Dank für Ihre Anregungen zum weiteren Nachdenken. Für das kommende Jahr 2019 wünsche ich Ihnen alles Gute und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Martin Ziemann


3. kritischer Kommentar:

Sehr geehrter Herr Ziemann,

die Organspendeskandale und das „systematische Fehlverhalten“ in Deutschland sind in erster Linie auf den Mangel an Spenderorganen zurückzuführen. Gäbe es genügend Spenderorgane, gäbe es auch keinen Grund, die eigenen Patienten bei der Organtransplantation zu bevorzugen. Das dies zu einer Verunsicherung der Bevölkerung, einer Abnahme der Spendebereitschaft und einer weiteren Verschärfung der Situation führt, liegt auf der Hand.

Ihre Priorisierung ökonomischer Aspekte in allen Ehren, aber ich glaube, dass Sie mit Ihren Schlussfolgerungen völlig falsch liegen. Eine Verbesserung der Organtransplantation führt nicht nur zu einer Lebensverlängerung und Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen, sondern auch zu einer Kostenreduktion im Gesundheitswesen. Die Kosteneffizienz der Organtransplantation ist durch zahlreiche Studien belegt und wird in einigen Ländern deshalb gezielt zur Kostenreduktion eingesetzt, siehe z.B. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0041134514009968

Die Widerspruchslösung gilt in Belgien, Bulgarien, Estland, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern.
Haben Sie Hinweise, dass in diesen Ländern durch die Organtransplantation eine Kostenexplosion ausgelöst wurde? Das würde mich sehr wundern.

Um auf den Betreiber der Internet-Präsenz (kursiver Text vom Autor des Aufsaztes eingefügt) zurückzukommen: „Cui bono“. Ihr Artikel nützt in erster Linie den Gesundheitskonzernen und Artikelherstellern, die an der Massen-Dialyse in Deutschland sehr gut verdienen und erhebliche Gewinne einfahren. Hier liegen z.B. die tatsächlichen Gründe für die Kostenexplosion. Ich habe keine Zweifel, dass Sie mit Ihrem Artikel ehrliche Aufklärungsarbeit leisten wollten, aber er spielt leider Leuten in die Hände, die den medizinischen Fortschritt in Deutschland aus finanziellen Interessen verhindern wollen und denen das Leid der Menschen egal ist.

Ich hege keine besonderen Sympathien für Jens Spahn, aber ich wünsche ihm eine glückliche Hand, diesen katastrophalen Missständen in Deutschland ein Ende zu setzen. Dann hätte er sich wirklich um Deutschland verdient gemacht.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für das Neue Jahr!

 


Antwort vom Autor des Aufsatzes auf Kommentar 3:

Sehr geehrter Herr …,

zunächst darf ich mich für Ihre neuerlichen Zeilen und interessanten Gedankenanregungen bedanken.

Um es vorweg zu sagen. Hier wird nicht der Standpunkt vertreten, dass Organentnahme generell abzulehnen ist. Es ist völlig unbestritten, dass auch ethische Motive in das medizinische Handeln hineinwirken. Die Frage, inwieweit diese von kommerziellen Interessen überlagert werden, wird sich m.E. nicht abschließend klären lassen. Gerne gehe ich auf Ihre Ausführungen weiter ein:

zu:

„ … gäbe es genügend Spenderorgane, gäbe es auch keinen Grund, die eigenen Patienten bei der Organtransplantation zu bevorzugen“

Regelverstöße im Rahmen der Organverteilung standen im Fall des Leiters der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Göttingen im Raum. Das Göttinger Landgericht sprach von „moralisch verwerflichem Handeln“.

Diesem dadurch zu begegnen, dass genügend Spenderorgane zur Verfügung gestellt werden (Widerspruchslösung) erscheint kritisch. Die Anzahl zur Verfügung stehender Organe sollte keinen Einfluss darauf haben, ob das Transplantationsgesetz und begleitende Richtlinien eingehalten werden oder eben nicht.

Verwerfliches Handeln ist auch auf der Entnahmeseite durchaus vorstellbar. So soll es nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation zwischen Anfang 2011 und 2013 in Bayern und Nordrhein-Westfalen acht Fälle von Fehlern bei der Diagnostik des Hirntods gegeben haben.

Durch Qualitätsanforderungen an diagnostizierende Ärzte sollte bereits seinerzeit sichergestellt werden, dass u.a. die Richtlinien der Bundesärztekammer eingehalten werden. Diese wurden mit den Richtlinien zur Feststellung des Hirnfunktionsausfalls neuerlich geändert. Hilfreich könnten ergänzende Compliance-Regeln auf Seiten der Entnahmekliniken sein. Als Instrument der Risikoabwehr können diese als Nachweis der Gesetzestreue dienen
(u.a.: https://blickpunkt-sichere-pflege.de/organentnahme-hirntod-krankenhaus/).


zu:

„die Kosteneffizienz der Organtransplantation ist durch zahlreiche Studien belegt“

Die Studie der italienischen Poliklinik San Matteo will zeigen, dass zusätzliche Nierentransplantationen im Vergleich zur aktuellen Situation eine Kostenminderung bewirken. Das ist durchaus nachvollziehbar. Die zur Verfügung stehenden klinischen Ressourcen werden besser ausgelastet. Mit steigender Anzahl der Transplantationen mindern sich aufgrund besserer Verteilung der festen Kosten (z.B. für den Operationsraum) die finanziellen Aufwendungen für jede Einzeltransplantation. Mir ist gegenwärtig jedoch nicht klar, auf welche geeignete Weise die Kosten einzelner Parameter, beispielsweise für „quality-adjusted survival“ ermittelt wurden.

Jedoch zeigt die Studie, dass die Kosteneffizienz in Italien ein zumindest in Fachkreisen diskutiertes Thema ist. Man wird davon ausgehen dürfen, dass sich die Akteure in Deutschland (Bundesärztekammer, Kassen, etc.) ebenfalls mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben. Den Transplantationsbefürwortern sollten belastbare Zahlen vorliegen.-


zu:

„haben Sie Hinweise, dass durch die Organtransplantation eine Kostenexplosion ausgelöst wurde?“

Nein – aber von einer Kostenexplosion ist im Aufsatz auch nicht die Rede. Es steht im Raum, dass es sich um einen (Gesundheits)markt handelt, der von erheblichem finanziellen Potential geprägt ist. Das muss nicht zwangsläufig eine Kostenzunahme bewirken. Das wirtschaftliche Interesse der Akteure ließe sich beispielsweise auch durch Leistungskürzungen an anderer Stelle im Gesundheitswesen befriedigen.

Auch Ihre Überlegungen erscheinen mir stichhaltig. Ihrem Link auf sciencedirect.com glaube ich entnehmen zu können, dass Sie sich mit der Thematik Organtransplantation bereits intensiv befasst haben. Sicherlich läßt sich, wie Sie schreiben, an der Massendialyse in Deutschland sehr gut verdienen. Es mag durchaus Leute geben, die aus finanziellen Erwägungen den medizinischen Fortschritt in Deutschland verhindern wollen. Ein (Verdrängungs-)markt bleibt die Organtransplantation m.E. dennoch. Der medizinische Fortschritt, und da stimme ich Ihnen uneingeschränkt zu, sollte vom Nutzen für den Patienten geprägt sein und kein Einfallstor zur Gewinnmaximierung eröffnen.

Für Ihre offene Diskussionsbereitschaft zu diesem sensiblen Thema möchte ich mich noch einmal bei Ihnen bedanken.

Martin Ziemann

 


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